Vorarlberg zwischen 1994 und 2020

Herwig Bauer über die poolbar, Wien und Vorarlberg.

Herwig Bauer
Vorarlberg ist schon jetzt ein chancenreicher Ort für unsere Kinder
Herwig Bauer

1994. Das Reichenfeld ist Brachland. Reste von Zäunen sollen Menschen fern halten. Das Pförtnerhaus: eine Ruine. Das Alte Hallenbad: die Ruine einer Ruine. Mitten darin entsteht das poolbar-Festival – mehr beiläufig als geplant, aus einer Reihe künstlerischer Workshops, organisiert von Herwig Bauer und seinem Freundeskreis.

2020. Leute von weit her pilgern ins Alte Hallenbad oder picknicken beim poolbar-Jazzbrunch mit ihren Kindern, Enkeln, Eltern, Großeltern im urban-ruralen Ambiente des Reichenfelds. Das Festival, das jährlich im Sommer aufblüht, ist eine Art „Gesinnungsgemeinschaft“ geworden.

„Hier haben sich neugierige, engagierte kultur- und gestaltungsaffine Menschen mit humanistischer Basis zusammen getan, um – manchmal unkonventionell – Gutes zu bewirken. Das Wirkfeld ist nicht so leicht zu verorten. Epizentrum Feldkirch vielleicht, ja, aber die Wellen reichen über geografische Grenzen hinaus. Wir hatten Wettbewerbsbeiträge aus Indien, Laborteilnehmer aus China, Mitarbeiter aus Australien. Ähnlich tickende Menschen finden das poolbar-Festival. Oder das poolbar-Festival findet sie. Hier verbinden sich urbanes Denken und ländliche Qualitäten. Urbanität hat nur bedingt mit der Bebauungsdichte oder Ähnlichem zu tun. Das poolbar-Festival ist urbaner als 95% von Wien. Das Cafesito in Dornbirn ist urbaner als 95% grindiger Wiener Vorstadt-Cafés, das FAQ-Festival urbaner als manch renommiertes Theater dort. In Summe ist Wien natürlich eine gänzlich andere Liga in Sachen Urbanität, klar. Aber auch in Großstädten ist das urbane Denken auf diverse Zentren oder auch dezentrale Orte konzentriert und nicht flächendeckend vorhanden. Schon mal im 23. Hieb gewesen?“

Auch in Großstädten ist das urbane Denken auf diverse Zentren oder auch dezentrale Orte konzentriert und nicht flächendeckend vorhanden.

„Dadurch, dass es in Vorarlberg (noch) keine Uni gibt, sind viele gezwungen, die Welt zu erkunden, und wer einmal Kontakt zur Welt hatte, der gibt diesen so schnell nicht auf. Auch nach der Rückkehr nicht. Und wir kehren zurück, weil Vorarlberg – jetzt schon – ein „chancenreicher Ort für unsere Kinder“ ist. Auch für die Eltern. Und solange der Kontakt zur Außenwelt nicht reißt, solange wir uns nicht mit der „schönen Natur“ zufriedengeben, sondern auch Urbanität in die Stuben lassen, kann aus Vorarlberg noch was werden. Noch mehr.

Herwig Bauer
Herwig Bauer
Ich wünsche mir, dass die weitere Entwicklung von Menschen geprägt wird, die gemeinsam und mit gegenseitigem Respekt an der Zukunft des Landes interessiert sind.

Herwig Bauer, aufgewachsen in Feldkirch, lebte kurz in Schweden, etwas länger in Innsbruck und Mexico City, und anschließend für 16 Jahre in Wien. Seit 2011 ist er zurück in Vorarlberg und beteiligt sich an der Entwicklung der „rurbanen“ Region.

Ich wünsche mir, dass die weitere Entwicklung nicht von denen geprägt wird, die am besten ihre Eigeninteressen durchsetzen können, sondern von Menschen, die gemeinsam und mit gegenseitigem Respekt an der Zukunft des Landes interessiert sind. Es braucht Engagement, um sich gegen den provinziellen Mief, gegen die selbstgefällige gegenseitige Bauchpinselei, gegen den Stillstand zu wehren. Das betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche, die Wirtschaft, die Kultur, die Politik. Und das heißt nicht, dass man permanent hysterisch nach Neuem lechzen muss. Das würde ja auch der Vorarlberger Mentalität (sofern es diese gibt) widersprechen. Man braucht Ruhepole, Pausen. Man muss nachdenken, kritisch bleiben, den Hausverstand aktivieren und bei sich bleiben, dann Mut beweisen und in die Offensive gehen. Am besten gemeinsam. Denn daraus entstehen Bewegungen, die andere mitreißen und das Land pulsierend halten.“

 

Text: Lena Hopp / Texterin, Spaziergängerin und Geschichtenerzählerin
Fotos: Martin Schachenhofer